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Der Verkehr von morgen

Mit intelligenten Verkehrssystemen soll der Verkehr effizienter, sauberer, sicherer und nahtloser werden. Foto: Photos.com Mit intelligenten Verkehrssystemen soll der Verkehr effizienter, sauberer, sicherer und nahtloser werden. Foto: Photos.com

Freiheit auf vier Rädern versus Verkehrshemmnisse für den Einzelnen? Intelligente Verkehrs­systeme sind nach wie vor umstritten, dabei bringen sie deutlich mehr Vorteile als Nachteile.


Wenn die Sprache auf Verkehrsbeeinflussungssys­teme kommt, sind die Reaktionen fast absehbar. »Section Control«, »City Maut« und »Road Pricing« lösen bei Autofahrern nicht gerade Begeisterung aus. Diese Wortmons­ter sind oft negativ besetzt, da sie bei vielen Verkehrsteilnehmern mit Bestrafung in Verbindung gebracht werden.

Auf der anderen Seite sind Staus, Umleitungen und fehlende Informationen oft kritisierte Bereiche, die reflexartig den Ruf nach »intelligenten Lösungen« auslösen. Doch das eine kann nicht ohne das andere existieren. Bei näherer Betrachtung sind die Nachteile oft nicht so gravierend. 

Kernaussage der Überlegungen der European Commission im Bereich Mobilität und Transport  ist, den Verkehr effizienter, sauberer, sicherer und nahtloser zu gestalten.  Angewendet werden dabei  Intelligent Transport Systems (ITS),  die das Erfassen, Übermitteln, Verarbeiten und Nützen von verkehrsbezogenen Daten übernehmen. Zweck ist die Lenkung des Verkehrs durch Information – dagegen, so meint man, können selbst die größten Kritiker nichts vorbringen. Das Problem liegt aber wie so oft eher im Detail. Denn so vielfältig die Länder und Problemstellungen sind, so vielfältig sind oftmals die Lösungen. Hier ist vor allem das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Akteuren ein scheinbar unlösbares Problem.  Ein Beispiel ist das europäische Navigationssystem Galileo, das als Alternative zum gegenwärtig genutzten GPS-System eine lange, schwere Geburt hinter sich hat. 2014 soll es in Betrieb gehen, bis zu den ersten Endanwendungen wird es noch ein wenig dauern.

Umso wichtiger, dass sich die wesentlichen Partner rechtzeitig zusammenschließen. In Österreich wurde bereits 2003 der Austrian Traffic Telematics Cluster (ATTC) auf Initiative der ASFINAG gegründet.  Mittlerweile gehören dem Verein 27 namhafte österreichische Unternehmen aus Forschung, Wirtschaft und Industrie an, die auf dieser Plattform regelmäßigen Wissensaustausch und praktische Umsetzungen durchführen. Ziel von  ATTC ist  gemeinsame Technologien zu entwickeln, um die technische Machbarkeit und die Marktfähigkeit nachzuweisen. Aber auch der Blick in die Zukunft kommt nicht zu kurz. So wurde in der Studie »Big Picture – Intelligent Traffic 2030« durch eine Expertengruppe ein Blick auf die kommenden Probleme des Verkehrs im Jahr 2030 gemacht.

>>Neue Herausforderungen <<
Wenn die Trendforscher richtig liegen, wird der Druck auf das Verkehrssystem stark zunehmen. Grundtenor: Wir werden immer mobiler, und das in einem immer größeren Maß individuell. Traditionelle Muster verlieren an Bedeutung, die Anpassung des Verkehrssystems an die aktuellen Bedürfnisse wird zur täglichen Herausforderung. Ökologisierung, knappe Ressourcen und gesellschaftlicher Wandel stehen zueinander scheinbar im Widerspruch.

Der Autobahnbetreiber ASFINAG setzt schon seit Jahren Erkenntnisse aus dem Bereich Forschung und Entwicklung um. Wichtig ist in diesem Bereich das Zusammenspiel aus Bau, Betrieb und Maut. Offensichtlich ist dabei die Anstrengung, die bei der Verbesserung des Zusammenwirkens zwischen Straße und  Umwelt bei der Planung von Großprojekten unternommen wird. Während beim Bau die Auswirkungen und die Kosten offensichtlich sind, sind andere Problemzonen nicht im allgemeinen Bewusstsein.

Ein gutes Beispiel ist die schon seit zehn Jahren eingesetzte Section Control. Was manche Autofahrer am Anfang erzürnte, hat sich aber langfristig bewährt. Im Durchschnitt sind Autos um 10 km/h, Laster um 15 km/h langsamer unterwegs. Seit die erste Anlage in Wien auf der A 22 Donauuferautobahn installiert ist, hat es keinen tödlichen Unfall mehr gegeben. Derzeit sind österreich­weit vier Streckenabschnitte mit Section Control ausgestattet, mit einem Rückgang der Unfälle um rund 50 Prozent. »Das ist ein enormer Schritt zur Hebung der Verkehrssicherheit«, sagt Alois Schedl, ASFINAG Vorstand. Zum Einsatz kommen die Anlagen dort, wo Autofahrer trotz Kontrollen noch zu schnell unterwegs sind. Alois Schedl zu diesem Thema: »Diese Anlagen sind zwar nicht billig, aber jede stationäre, also fixe Anlage ist eine nachhaltige Investition in die Verkehrssicherheit.« Der Erfolg dieser Anlagen ist leicht erklärt: »Diese Art der Geschwindigkeitsüberwachung hat in ers­ter Linie präventive Wirkung«, erklärt ASFINAG-Geschäftsführer Josef Fiala. Geschwindigkeitskontrollen über einen längeren Streckenabschnitt harmonisieren den Verkehrsfluss. Erst wenn weder bauliche Maßnahmen noch Geschwindigkeitsreduktionen greifen, wird auf die elektronische Streckenüberwachung zurückgegriffen.

>> Thema Schwerverkehr <<
Ein anderes Thema sind Fernlaster und ihre Beladungen, oder besser Überladungen. Vielfach sind Transporter auf den Autobahnen unterwegs, die durch diese Überbelastung Probleme für den Zustand der Straßen und Brücken verursachen. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage der Verkehrssicherheit und der Lärmbelastung. Aus diesem Grund initiierte die ASFINAG im Mai 2010 das Projekt »Dynamische Radlastwaage für den Straßen- und Güterverkehr«. Ziel war die dynamische Erfassung der Radlasten des Schwerverkehrs in voller Fahrt, um die Vorselektion für Überprüfungen durch die Exekutive zu erleichtern. Denn überladene Transporte bringen viele Probleme, wie erhöhte Unfallgefahr und längere Bremswege.

Heute sind Umsetzungen dieser Forschungen alltagstauglich, wie der Erfolg der Kapsch TrafficCom AG zeigt. Sie lieferte und installierte im September zwei Weigh-In-Motion-Stationen für Autobahnen in Kasachstan. Dabei werden drei Fahrspuren zur Gewichtsbestimmung mit Kameras und Laserscannern ausgestattet. Der Wiegevorgang erfolgt bei voller Fahrtgeschwindigkeit. »Russland und die Staaten der ehemaligen Sowjetunion zählen zu den größten und am stärksten wachsenden ITS-Märkten der Welt und sind strategisch wesentlich für Kapsch«, erklärt Michael Weber, Member of the Board von Kapsch TrafficCom Russia OOO. Ein weiterer Prestigeerfolg ist schon gelungen: Für die Olympischen und Paralympischen Winterspiele in Sotschi im Jahr 2014 wird Kapsch Russland das gesamte Zugangssys­tem für die Verkehrsbereiche mit eingeschränkter Zugangsberechtigung errichten. Der Vertrag umfasst die Einrichtung und Ausstattung von 14 Zugangspunkten und zwei Verkaufsstellen mit der notwendigen Hard- und Software sowie den technischen Support für die Zeit der Spiele.

>> Intelligente Mautsysteme <<
Die Innenstadtmaut Londons wird zwar als »Congestion Charge« (Staugebühr) bezeichnet, doch es soll durch die technische Lösung mit solchen ITS-Systemen eigentlich das Gegenteil erreicht werden. International ist die Steuerung von Verkehrsströmen im innerstädtischen Bereich ein großer Markt. Hier sind Lösungen  gefragt, die aus einer Hand kommen. Die Siemens AG, Sektor Infrastructure & Cities, liefert weltweit alle nötigen Elemente für die Steuerung des Verkehrs in Städten und Ballungsräumen. Mit der Plattform Sitraffic Concert, Sitraffic Scala und Sitraffic Guide werden die bisher getrennten Welten des Verkehrsmanagements, der Verkehrssteuerung und des Parkleitens in ein System integriert. Hier kann modular aufgesetzt werden, ob es einfach nur die Anlage für die optimale Steuerung der Ampeln und des Verkehr ist oder ob in der Endstufe ein Gebührensystem dazu geschaltet wird.

Hier kommt ins Spiel, was zukünftig möglich sein sollte: der Datenaustausch zwischen dem Fahrzeug und der Infrastruktur sowie die Abbuchung der Gebühren und die Kontrolle des Fahrzeugs, und das hersteller- und systemunabhängig. Auch die Kommunikation zwischen den einzelnen Autos selbst ist ein großes Ziel. Doch hier stecken die Ambitionen zum Teil noch in den Kinderschuhen. Zwar haben im Oktober 2012 zwölf Fahrzeughersteller aus dem Car-to-Car-Communication-Consortium (C2C-CC) ein Memorandum unterschrieben,  nachdem ein gemeinsamer Standard zur Serienreife gebracht werden soll. Fahrzeug-zu-Fahrzeug- und Fahrzeug-zu-Infrastruktur-Kommunikation (Car-to-Car und Vehicle-to-X genannt) sollen es ab 2015 ermöglichen, dass Fahrzeuge unterschiedlicherer Hersteller und mit der Infrastruktur Daten austauschen können.

Werden Systeme wie etwa das von Ford und Microsoft entwickelten In-car-Kommunikations- und Entertainmentsystems Ford SYNC heute noch vorwiegend für Infotainment-Daten und für die Sprachsteuerung des Handys verwendet, könnte in Zukunft die Car-to-X-Kommunikation jedes Auto zur Leitzentrale machen. Bevor sich aber die Angst vor fremdgesteuerten Autos breit macht, zeigt sich die langfristige Entwicklung in diesem Bereich. Beim Forschungsprojekt »Sichere Intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland« wurde die Funktionalität, Alltagstauglichkeit und Wirksamkeit von Car-to-X-Kommunikation mit 120 Autos und drei Motorrädern getestet. Das Ergebnis sieht die Alltagstauglichkeit als gegeben. »Mit Car-to-X-Technologie ausgestattete Fahrzeuge haben ein deutlich größeres Sichtfeld als herkömmliche Fahrzeuge ohne Car-to-X Systeme. Der so vergrößerte telematische Horizont bringt einen enormen Mehrwert – sowohl für Privatkunden wie auch für die öffentliche Hand«, so Projektleiter des Versuchs, Christian Weiß von der Daimler AG.

Bisher sind aber keine Fahrzeuge mit der notwendigen WLAN-Ausrüstung ausgestattet. Stattdessen setzen immer mehr Hersteller auf den Mobilfunk. Die selbstorganisierenden Fahrzeuge sind out – vielmehr sind vermutlich Lösungen zu erwarten, bei denen die Betreiber der einzelnen Leitzentralen Warnungen an die Fahrzeuge schicken. Kritiker sehen oft die großen Automobilhersteller hinter diesen Anstrengungen, Hierarchie statt Selbstorganisation in den Verkehrsfluss zu bringen.

Führt uns das etwa zur ultimativen App, die alle bisher anfallenden Daten verarbeitet? Auto, Öffi, Rad, Fußgeher, alles nebeneinander? Für Fritz Busch von der Technischen Universität München ist der Übergang von der multimodalen zu intermodaler Verkehrspolitik eine essentielle Notwendigkeit. Bei der im Februar 2013 veranstalteten Konferenz für Intelligente Verkehrssysteme im Straßenverkehr stellte er fest, dass viele Bereiche nur für sich, aber nicht als Gesamtes betrachtet werden. Bisher bestehe keine echte intermodale Steuerungs- und Lenkungsverantwortung. Insgesamt sind heute die Werkzeuge und Daten zwar da – aber wer übernimmt die Verantwortung?
Wie diese Daten kombiniert und gemeinsam genutzt werden, das ist die große Herausforderung, der sich alle Anbieter von ITS-Lösungen stellen müssen.

Last modified onFreitag, 22 November 2013 13:14

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