Zum dritten Mal sitzt Österreich ab Juli dem Europäischen Rat vor. Im letzten Beitrag standen die politischen Rahmenbedingungen und Schwerpunkte im Vordergrund, nun will ich mich der Bedeutung der Präsidentschaft widmen. Warum tun »wir« uns das eigentlich an?

Ratsvorsitz heißt vor allem: Sitzfleisch. Denn im mechanischen Regelbetrieb des Rates leitet die jeweilige Präsidentschaft die sogenannten Ratsarbeitsgruppen, also jene Expertengremien, die – von den Mitarbeitern der jeweils zuständigen Ministerien bestückt – die Rechtstexte verhandeln. Dem Vorsitz kommt dabei die mühsame und oftmals undankbare Aufgabe der Kompromissfindung zu. Viele bilaterale Gespräche, Ausloten von Positionen und Verhandlungsmassen und vor allem: stundenlange Sitzungen. Sitzfleisch ist also gefragt.
 
Die Pflicht: Dossiers beenden
Das ist die profane Seite der Medaille: das Pflichtprogramm, das von jedem Vorsitz erwartet wird, möglichst reibungslos und professionell abzuspulen. Auf Österreich kommt dabei ein besonderes Mammutprogramm zu. Denn als letzte »legislative« Präsidentschaft vor den Europawahlen warten noch gut 200 Dossiers auf ihre Finalisierung und dementsprechend hoch ist der Druck auf Österreich, viele abzuschließen. Als Beispiel sei hier das »Clean Energy«-Paket erwähnt, das nichts weniger als die Neuordnung der europäischen Energiemärkte vorantreiben soll.
An der erfolgreichen Abwicklung dieses Pflichtprogramms lässt sich die Qualität des Verwaltungsapparates des jeweiligen EU-Landes ablesen. Denn es sind in der Regel (höhere) Beamte, die hier die Hauptarbeit leisten, und da trennt sich die Spreu schnell vom Weizen. Zwischen Bulgarien und Rumänien den Vorsitz innehabend, wird sich die Qualität der österreichischen Beamtenschaft – allen Vorurteilen und Unkenrufen zum Trotz – besonders deutlich zeigen sowie die Erfahrung aus bereits zwei sehr souverän absolvierten Präsidentschaften.
Es gibt aber noch eine andere Seite der Medaille, die Kür: Das ist die politische Großbühne, auf der inszeniert, dramatisiert, glorifiziert wird. Sechs Monate Gastgeber spielen, die Zügel in den Händen halten und vor allem in Richtung eigener Bevölkerung den Duft der »großen Politik« verströmen: Das erhoffen sich die Politiker von der Präsidentschaft.
 
… und die Kür: Glanz und Glorie
Diese Seite der Medaille hat seit der Installation des ständigen Präsidenten des Rates – aktuell Donald Tusk – etwas an Glanz verloren. Dennoch versuchen sich die jeweiligen Regierungschefs unverdrossen in großer Symbolpolitik – und das zu Recht! Denn ohne diesen Glanz gäbe es keine Glorie und keine »G’schicht«, um gerade in diesen kurzen sechs Monaten der jeweiligen Bevölkerung »die EU« etwas greifbarer zu machen. Die korrekte, aber spröde Abwicklung der Ratsarbeitsgruppen ist kommunikativ wahrlich kein Gassenhauer, wenn auch für das Funktionieren der EU weitaus relevanter.
 Doch gerade in diesem Punkt müsste sich das Regelwerk ändern. Das Hinüberreichen von einem Vorsitz zum anderen –im bevorzugten Fall heiße Erdäpfel, an denen man sich politisch nur die Finger verbrennen kann – sorgt dafür, dass sich die Einigung auf Rechtstexte in die Länge zieht wie Kaugummi und es alle sechs Monate zu einem Effizienz- und Know-how-Verlust kommt.
Alternativ könnte man zum Beispiel das System des Berichterstatters, wie es das Europaparlament anwendet, auf den Rat umlegen. Sprich: Ein Land verantwortet ein Dossier, vom Anfang bis zum Ende der Verhandlungen. So könnte Kontinuität und Effizienz in der Gesetzgebung sichergestellt werden.
 Die sechs Monate einer Präsidentschaft vergehen wie im Fluge, dann zieht die Karawane ins nächste Land. Was bleibt zurück, was hat ein Land wie Österreich davon außer müdes Sitzfleisch seiner Beamten und Kosten? Möglicherweise Prestigegewinn und ein besseres Verständnis in der Bevölkerung von Europa. Im Maschinenraum der EU bedeutet es für das jeweilige Land vor allem ein exzellentes Netzwerk in alle Hauptstädte und in die anderen beiden EU-Institutionen hinein.