Die Wahlen zum Europäischen Parlament rücken immer näher und somit endet bald das aktuelle Mandat von Kommission und Europaparlament. Zeit für eine Bilanz. Gewinner und Verlierer von fünf Jahren, wie sie wohl niemand so geplant hatte. 

Ein Blick ins Archiv: Bio-Hendl oder genmanipuliertes Fleisch? »Das Boot ist voll« oder »Tag der offenen Tür« für Drittstaatsangehörige? Vor solchen Wahlen standen wir Bürger laut Kampagne des Europaparlaments zur Europawahl 2009. Die wahren Entscheidungen, die  letztendlich viel dringender waren, lauteten in den vergangenen fünf Jahren dann doch anders: Wer rettet bankrotte Finanzinstitute und Staaten? Zerbricht die Eurozone? Wie schaffen wir es aus der Rezession? Fragen, die vor sechs Jahren gerade einmal am politischen Horizont aufgetaucht sind.

Hauptstädte und EZB bestimmten zentralen Europa-Kurs
Zum Leidwesen der Kommission und des Parlaments rissen die Nationalstaaten die Beantwortung dieser Fragen immer mehr an sich. Eigentlich hatte der Vertrag von Lissabon das Ende der Überdominanz des Rates einläuten und das Mitentscheidungsverfahren mit gestärkten Kompetenzen des Europaparlaments Europa gestalten sollen. Doch in der Krise gelten wohl andere Regeln. Die Entscheidungshoheit fand zunehmend (wieder) in die Hauptstädten zurück – und nach Frankfurt. Die EZB mit Mario Draghis mittlerweile legendärem Satz, alles für die Eurorettung zu tun, was notwendig sei (»whatever it takes«), gehört zu den heimlichen Gewinnern dieser fünf Krisenjahre.

Doch nicht nur Kommission und Parlament mussten Federn lassen. Auch einzelne Mitgliedstaaten haben an Einfluss verloren. Beziehungsweise eine ganze Region (so heterogen sie auch sein mag): die CEE-Staaten, bis zur Krise Wachstumslokomotive für ganz Europa, rückten an die Peripherie des politischen Fokus. Dieser galt ganz und gar der Eurozone, die ja bekanntlich zur Hälfte lichterloh brannte. Doch der politische Shift in Richtung Eurozone hat für die Nicht-Eurostaaten in Zentral- und Osteuropa die Folge, dass sie in viele zentrale Entscheidungen nicht eingebunden, weil nicht (direkt) betroffen waren. Es müsste daher in deren Interesse sein, dass die politische Perspektive auf EU-Ebene sich langsam wieder weitet und den CEE-Raum mehr berücksichtigt. Dies wäre im Übrigen auch von zentralem Interesse für Österreich.

Neue Amtszeit, neue Regeln?
Auch wenn viele zentrale Entscheidungen in den letzten fünf Jahren in den Hauptstädten ausgemunkelt wurden: Das Europaparlament wird nicht kampflos aufgeben. Die Nominierung des neuen Kommissionspräsidenten könnte die Revanche sein. Es wäre nicht nur von der Symbolik, sondern auch realpolitisch folgenreich, sollte das Parlament sich durchsetzen und einer der nominierten Spitzenkandidaten für die Europawahl der nächste Kommissionspräsident werden. Doch egal, wer am Ende der nächsten Kommission vorstehen wird: Die Person (und viele andere ebenfalls) wird eine Antwort finden müssen auf die Frage: Wie geht es weiter in Europa?