Nicht nur der klimatische Herbst hält Einzug in Brüssel, auch der politische kündigt sich an. Die Legislativperiode neigt sich dem Ende zu, die Europawahlen werfen ihre Schatten voraus. Und somit fängt auch der Tanz um die Sessel im europäischen Chor an. Österreich wird wohl keine Rolle spielen. Dabei könnte es sogar eine sehr große spielen – wenn wir nur wollten.


Bereits in einer früheren Ausgabe hat sich diese Kolumne den Europawahlen und möglichen personellen Planspielen gewidmet. Wie damals gemutmaßt, ist Parlamentspräsident Martin Schulz mittlerweile offizieller Spitzenkandidat der Europäischen Sozialisten und Sozialdemokraten (PSE). Der Herausforderer hat also den Ring bestiegen. Es fehlt ihm allerdings noch der Gegner: Die Europäischen Volksparteien zögern damit, einen Spitzenkandidaten zu benennen. Es kann also gut sein, dass der von PSE herbeigesehnte »Showdown der Ideologien« (Wachstum versus Sparpolitik) so gar nicht stattfinden wird. Was jedenfalls stattfindet, ist ein munteres Personal-Lotto über zukünftige Präsidenten, Kommissare und andere wichtige Funktionen.

Wer wird was – eine mathematische Gleichung. Dabei ist die Bestellung eines Postens wie jenem des Kommissionspräsidenten eine Gleichung, die in ihrer Komplexität und Anzahl an Variablen der Berechnung von chemischen Reaktionen nahe kommt: Herkunftsland, Partei, »alter« Mitgliedstaat oder »neuer«, Qualifikation als ehemaliger Regierungs- oder Staatschef vorausgesetzt, Mehrsprachigkeit sowieso. Die Auswahl des Präsidenten der Kommission war seit jeher ein Basar unter den Mitgliedstaaten, mit dem Schaffen weiterer Top-Posten (Präsident des Rates und »Außenminister«) wurden noch zusätzliche Tauschobjekte geschaffen. Wobei: Nach dem Willen vieler Europaparlamentarier soll das Feilschen unter den Staaten bald Geschichte sein. Sie drängen auf mehr Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl des Kommissionspräsidenten. Dennoch, dieses (letzte?) Mal wird wohl noch der Länder-Basar das bestimmende Wort haben.

Und Österreich? Österreich wird – das steht bereits jetzt fest – mit der Europawahl einiges verlieren. Ein Mandat muss wieder abgegeben werden, in Zukunft werden 18 statt 19 Abgeordnete aus Österreich kommen. Einer davon wird sicher nicht Hannes Swoboda sein, der seinen Rückzug offiziell bestätigt hat. Damit »verliert« Österreich den Vorsitz der Sozialdemokratischen Fraktion und einen der anerkanntesten Europaabgeordneten. Und auch sonst wird Österreich wohl keinen Faktor bei der Bestellung der EU-Spitzenpositionen darstellen.
Dabei stünden die Vorzeichen eigentlich ganz gut, dass Österreich einen Top-Job ergattern könnte: Nun mittlerweile fast 20 Jahre EU-Mitglied, Gründungsmitglied der Eurozone, teilt viele Interessen mit Deutschland, kann aber als mittelgroßes Land gut vermitteln, etliche ehemalige Bundeskanzler und aktuelle Europapolitiker, die das notwendige »Gewicht« und die Erfahrung hätten usw. Es spräche viel dafür, nur eines nicht: Es interessiert niemanden. Um am Ende einen Kommissions- oder Ratspräsidenten zu stellen, würde es einen »Schulterschluss« der pro-europäischen Parteien erfordern – gleich, welche Couleur schlussendlich diesen Posten besetzen darf. Aber ein rot-weiß-roter Kommissionspräsident wäre vielleicht auch ein gutes Rezept gegen die EU-Ressentiments in Österreich.